TV-Tipp: Schöne neue Stadt – Die Langstrasse im Wandel (SRF)

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Allgemein / Renzensionen

Im April 2019 zeigte das Schweizer Fernsehen SRF die zweiteilige Dokumentation zum Wandel der Langstrasse. Eingeleitet wird die Doku mit Ausschnitten aus einem Archivfilm((Max Rüegger und Gianni Paggi: «Von zwölf bis zwölf» – 24 Stunden Langstrasse (1971), vgl. Film am Seitenende)), die die Langstrasse der 1970er-Jahre zeigen. Zugleich wird eine kurze, allgemeine Definition von Gentrifizierung im Off gesprochen.

Teil 1: Die Langstrasse von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Quelle: www.srf.ch/play/

Die Doku besteht in weiten Strecken aus impressionistischen Schlaglichtern von Gewerbetreibenden der Langstrasse, erzählt am Ablauf eines Tages. Der Journalist selbst, der die Einzelinterviews führt, bleibt stets im Hintergrund. Die Fäden der Einzelinterviews werden immer wieder in einer Diskussionsrunde zusammengezogen und, so gut es geht, die Themen verflochten. Ein Diskurs entwickelt sich jedoch leider nicht.

Der Kreis 4 mit der Langstrasse ist ein Gebiet, das in den 1960er-Jahren von Arbeitern, v.a. italienischen Migranten, bewohnt wurde. In den 1970er-Jahren setzte sich das Milieu in diesem Gebiet fest, ab den 2000er-Jahren wird die Gentrifizierung im Kreis 4 sichtbar. Ein Invasions-Sukzessions-Zyklus findet in der Langstrasse gegenwärtig weiterhin statt. Alex Flach beschreibt wie Clubs von Gastronomiebetrieben und 24-Stunden-Shops verdrängt werden. Die Clubs und die Subkultur, und mit ihnen eine kulturelle Vielfalt, die das Quartier einst attraktiv gemacht haben, verschwinden. Dennoch sieht Flach an der Gentrifizierung weder etwas Böses noch etwas Gutes.

Flachs Aperçus sind etwas vom Interessantesten der Dokumentation. Er bezeichnet Zürich-West als städtische Fehlplanung; die Kultur sei vertrieben worden (z.B. Toni-Molkerei). Noch in den 2010er-Jahren wollte der Zürcher Stadtrat ein Kongresszentrum auf dem Gerold-Areal bauen.  Einige Grundeigentümer konnten zu einem Abtausch/Verkauf ihres Arealteils bewogen werden, jedoch nicht der Schrotthändler Dr. Georg Mayer-Sommer. Auf seinem Areal floriert Frau Gerolds Garten, ein Mix aus Gastronomie, Shops und Märkten. Seit 2012 gibt es Frau Gerolds Garten, und Alex Flach meint, dass die Stadt ausgerechnet dort lebe, wo die Stadt ihre Pläne nicht umsetzen kann. Allerdings fragt er auch nicht weiter nach der Motivation des Grundeigentümers: Ist es Wohltätigkeit oder Spekulation auf ein besseres Angebot in der Zukunft?

Für Werner Bösch, Ladenbesitzer und seit 36 Jahren an der Langstrasse, finden die Veränderungen schleichend statt. Ihm fallen die Kioske auf, die erst am Abend öffneten und so den Reiz der Langstrasse schmälerten.

Teil 2: Die Langstrasse von 19:00 Uhr bis 07:00 Uhr. Quelle: www.srf.ch/play/

Elena Nierlich von der Olé-Olé-Bar fühlt sich – mit Blick auf die Europaallee – als Gallisches Dorf. Auch sie spüre die Veränderung. Beim Ausblick auf die nächsten 20 Jahre gibt sie sich am Schluss der Doku optimistisch. Man werde sich wohl mit der Langstrasse mitverändern. Was natürlich nur möglich ist, wenn die Ressourcen vorhanden sind, sich am Standort zu halten. Dies müsste Martin Furrer einwenden, der nach 28 Jahren sein Perückengeschäft wegen einer Eigenbedarfskündigung aufgeben musste.

Eine Schwierigkeit des Films besteht darin, das bekannte, relevante und vielschichtige Phanömen der Gentrifzierung für eine breite Öffentlichkeit verständlich darzustellen, während in der Doku aber nur Gewerbetreibende zu Worte kommen. Wo bleiben z.B. die Mieter? Was meinen Prostituierte, Polizisten und Alkoholiker zu den Veränderungen (die Liste liesse sich weiterführen). Ein weiterer Punkt, der auffällt: die über Gebühr gezeigten Archivaufnahmen dokumentieren, wie die Langstrasse früher war, sie tragen jedoch nicht zur Erklärung der Gentrifizierung bei. Und, wie eingangs erwähnt, ist der Journalist nur als Off-Stimme präsent. Er erzählt, jedoch ordnet er nicht ein.

Die porträtierten Personen sind:

  • Roman Beranek (Creative Director, Licht-Künstler)
  • Werner Bösch (Ladenbesitzer Werners Head Shop)
  • Alex Flach (Journalist)
  • Martin Furrer (ehem. Perrückenladenbesitzer)
  • Vera Gloor (Architektin) 20 Objekte
  • Lila Loit (Tattoo-Studio-Besitzerin)
  • Elena Nierlich (Olé Olé Bar)
Max Rüegger und Gianni Paggi: «Von zwölf bis zwölf» – 24 Stunden Langstrasse (19.11.1971)

 

Vor 125 Jahren: Die erste Eingemeindung der Stadt Zürich

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Allgemein

1893 wurden elf Nachbargemeinden in die Stadt Zürich eingemeindet, und damit wurde Zürich zur ersten Grossstadt der Schweiz.

Aussersihl, Enge und Leimbach, Fluntern, Hirslanden, Hottingen, Oberstrass, Riesbach, Unterstrass, Wiedikon, Wipkingen und Wollishofen wurden per 1. Januar 1893 der Stadt Zürich eingemeindet. Die Stadt wuchs auf einen Schlag von 28’000 auf 121’000 Einwohner, und sie wurde somit zur ersten Grossstadt der Schweiz.

Die erste Eingemeindung war dem schnellen Bevölkerungswachstum der umliegenden Gemeinden und dem damit einhergehenden Fehlen von Mitteln, um die Infrastruktur anzupassen, geschuldet. Die Governance-Frage wurde also erstmals pragmatisch durch eine Eingemeindung gelöst, und sie wurde – im Gegensatz zur zweiten Eingemeindung 1934, die mit mit dem sehr knappen Ergebnis von 30’410 Ja zu 30’298 Nein beschlossen wurde – sehr gut angenommen und gross gefeiert (Adi Kälin, 2009).

Für das Jubiläumsjahr stellt die Stadt Zürich auf der digitalen Platform www.stadt-zuerich.ch/125jahre-grossstadt  laufend Inhalte zu unterschiedlichsten Themen bereit und feiert am 6. Juli mit einem Festakt das Jubiläum.

Quellen

Adi Kälin (2009): «75 Jahre nach der Eingemeindung wird richtig gefeiert», NZZ online, 11.06.2009

 

 

Pessimistische Zürcher? Bevölkerungsbefragung Zürich 2015

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Allgemein / Soziologie

Die Stadtentwicklung Zürich hat die Daten der Bevölkerungsbefragung 2015 im Januar 2017 auf der Plattform Open Data der Stadt Zürich unter der CC0-«Un-»Lizenz publiziert.

Erste Auswertungen meinerseits zeigen, dass die 2’501 befragten Bewohner im Durchschnitt die eigene wirtschaftliche Lage und die der Stadt eher gut bewerten, jedoch in der Perspektive die Lage der Stadt schlechter sehen als die eigene.

Gefragt wurde nach:

  • der Beurteilung der eigenen aktuellen wirtschaftlichen Lage
  • der Beurteilung der aktuellen wirtschaftlichen Lage der Stadt Zürich
  • der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage in ein bis zwei Jahren
  • der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Stadt Zürich in ein bis zwei Jahren

Die wirtschaftliche Lage

In allen Kreisen wird die eigene Lage durchschnittlich mit einem «eher gut» bewertet (knapp 4 auf der linken Skala). In 6 der 12 Kreise wird die eigene aktuelle Lage besser bewertet als die der Stadt. In allen Kreisen wird die eigene Lage in der Zukunft positiv bewertet (2=Status quo, rechte Skala).

Die aktuelle wirtschaftliche Lage der Stadt wird insgesamt knapp leicht besser bewertet als die individuelle wirtschaftliche Lage. In den Kreise 1 bis 4 und 12 (Schwamendingen) wird die Lage der Stadt besser bewertet als die eigene Lage.

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Stadt Zürich in ein bis zwei Jahren sind die Zürcher doch eher pessimistisch. Im Durchschnitt bewerten alle Bewohner die Lage der Stadt schlechter als aktuell. Besonders schlecht wird die künftige Situation von den Bewohnern des Kreis 7 bewertet, die auch die eigene künftige wirtschaftliche Situation am pessimistischsten bewerten (jedoch immer noch beim Status quo).

Weitere Analysen, die Einkommen und Alter berücksichtigen, wären aus meiner Sicht notwendig. Der vorliegende Datensatz ist jedoch reduziert.

Anmerkung zur Datenerhebung:

Die Befragung wurde zwischen dem 24. März und dem 2. Juni 2015 mittels telefonischen CATI-Interviews durch das LINK Institut für Markt- und Sozialforschung in Zürich durchgeführt. Insgesamt wurden 2501 Personen mit einer durchschnittlichen Interviewzeit von 32,5 Minuten befragt. Als Interviewsprache wurden Deutsch, Italienisch, Spanisch, Serbisch-Kroatisch-Bosnisch, Portugiesisch oder Englisch angeboten. Quelle: Bevölkerungsbefragung 2015, Stadtentwicklung der Stadt Zürich.

Film: Within Formal Cities

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Allgemein / Architektur / Renzensionen / Veranstaltungen
Pavilleon

Am 18. Juli zeigte das Pavilleon unter dem Titel «Urban Shorts» den Film «Within Formal Cities», das Architekten zeigt, wie sie partizipatives Bauen in Lateinamerika einfangen. Der laue Sommerabend hat so viel interessiertes Publikum angezogen, dass der Film zwei Mal gescreent wurde.

Die Architekten Brian Gaudio und Abraham Drechsler nähern sich dem Thema von Wohn- und Infrastrukturprojekten in Lima, Santiago, Rio de Janeiro, São Paulo und Bogotá, indem sie mit den unterschiedlichen Beteiligten sprechen. Die Relevanz des Themas ergibt sich aus der Tatsache, dass 80% der Bevölkerung in Lateinamerika in Städten lebt und aus dem Umstand, dass ein Teil dieser Städte Favelas sind. Viele urbane Zonen, nicht nur Favelas, leiden unter schwachen Infrastrukturen (z.B. Abwasserentsorgung) und sie sind für Projektentwickler äusserst uninteressant. Wo das Überleben an erster Stelle steht, ist die Rolle von Gestaltern unklar.

Hier setzt der Film ein und portraitiert einerseits Architekten, die nicht nur schöne Gebäude oder Areale entwerfen wollen, sondern die eine weitergehende Mission haben. Andererseits werden werden Bewohner von Siedlungen und ihre Wohnungen gezeigt und ihre Sicht auf die Dinge und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit den Architekten.

Trailer zum Film auf youtube:

Jede Stadt hat ihre Geschichte und ihre Eigenheiten. Bogotá galt in den 1990er-Jahren noch als eine sehr gefährliche Stadt. Die Filmemacher stellen die These auf, dass Architektur ein Tool für sozialen Wandel sei. Die Filmemacher zeigen am Beispiel des Kindergartens «El Porvenir Social», wie Kindern aus Familien mit häuslicher Gewalt ein geschütztes Umfeld geschaffen wird.

Reformen bei der Bereitstellung öffentlicher Güter? Zürich befragt seine Bewohner

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Allgemein / Politologie

Ende August habe ich vom Kanton Zürich einen Fragebogen erhalten. Das Gemeindeamt befragt die Zürcher Bevölkerung zum Thema der öffentlichen Güter. Dabei geht es um

  • Fragen der lokalen Identität
  • das Wohlfühlen in der Wohngemeinde
  • die Wichtigkeit von bestimmten öffentlichen Gütern
  • die Zufriedenheit mit Dienstleistungen in der Wohngemeinde
  • die Meinung zu Aspekten in einer idealen Gemeinde
  • die Meinung zu Aspekten in der aktuellen Wohngemeinde
  • Kommunikation mit der Wohngemeinde
  • die Meinung zur Steuerbelastung in der Wohngemeinde
  • die Einschätzung der finanziellen Situation der Wohngemeinde
  • die Bereitschaft, Dienstleistungen künftig von einer Nachbargemeinde zu beziehen

Die Befragung zeigt, wie aktuell und relevant die Diskussion um die Bereit­stellung von öffentlichen Gütern ist (vgl. Urban-Governance-Beiträge: New Regionalism; Public Choice; Metropolitan Reform).  So fragt der Kanton Zürich konkret, welche Option vom Bewohner gewünscht wird, wenn die Wohngemeinde die Dienstleistung nicht mehr selbständig bereitstellen kann:

  • die Leistung nicht mehr erbringen
  • die Leistung einer Nachbargemeinde übertragen
  • die Aufgaben mit anderen Gemeinden in einem Zweckverband oder einer Anstalt erbringen
  • mit anderen Gemeinden fusionieren
  • die Aufgabe an den Kanton übertragen
  • die Aufgaben vom Kanton finanzieren lassen
  • die Aufgaben an private Organisationen übertragen
  • die Lasten unter mehreren Gemeinden ausgleichen

Damit werden im Wesentlichen jene Apekte der Urban-Governance-Debatte angesprochen: Fusion, Zweckverband, Privatisierung, Umverteilung der Lasten, Delegieren an eine höhere Staatsebende.

Mit der Durchführung der Bevölkerungsbefragung wurde das Statistische Amt des Kantons Zürich beauftragt. Die Einladung kam per Post und es wurde später nicht erinnert. Es bestanden die Optionen, online oder auf Papier an der Befragung teilzunehmen.

Anfang 2016 werden auf der Website des Gemeindeamtes die Ergebnisse publiziert.