Erinnerungen an die Krim

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Reisen

Die Annexion der Krim durch Russland ist Anlass, mich an meine Velotour mit Freunden in der Ukraine und auf der Krim im Jahre 2005 zu erinnern.

Hier will ich über die Land und Leute berichten, denen wir drei Velofahrer zwischen dem 12. August und dem 3. September 2005 begegnet sind.

Krim (Landkarte)

Krim (Landkarte)

Nach einem Zwischenstopp in Kiew bringt uns ein Flugzeug nach Odessa. Die Acht im Vorderrad ist schnell begradigt und wir suchen uns den Weg vom Flughafen in die Stadt. Dabei fällt uns schnell auf, dass die Menschen hilfsbereit sind, doch ist die Kommunikation aufgrund fehlender gemeinsamer Sprache nicht einfach ist. Als Velofahrer wird man von Portiers schnell abgewiesen. Ein Neureicher ist und bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich.

Am Samstag schauen wir uns die Stadt Odessa an und werden im Hafen von einem Gewitter überrascht. Der Regen «fällt» waagerecht, ein Bierzelt legt es zusammen, das Hafengeäude scheint nicht dicht zu sein…

Odessa

Odessa

Odessa: Hafengebäude

Odessa: Hafengebäude

Den Samstagabend verbringen wir zur Unterhaltung im touristischen Arkadia in der Disko «Itaka». Am Sonntag geht’s nochmals zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt; und missverständlicherweise esse ich einen «Seefood Salad» (bestellt hatte ich einen «Ceasar Salad». (…)

Brücke über den Dnepr

Brücke über den Dnepr

Die erste Etappe führt uns von Cherson (an der Mündung des Dnepr) nach Kalantschak, wo wir eine sehr einfache Unterkunft beziehen (70 Griwna, ca. Fr. 20 für alle drei). Am Morgen fliesst jedenfalls kein Wasser.

Auf der Transitroute: ein seltenes Bild, der Velofahrer

Auf der Transitroute: ein seltenes Bild, der Velofahrer

Häufig verpflegen wir uns in Restaurants, manchmal betreten wir einen Laden. Die sind alle nach gleichem Schema aufgebaut: ein grosser Raum (nach aussen mit einheitlichen Gittern geschützt), drinnen eine Theke. Die Läden funktionieren also nach dem Tante-Emma-Prinzip. Wenn kein Taschenrechner zur Verfügung steht, dann sicher ein Rechenschieber. Die Reise auf die Krim ist somit auch eine Reise in die Vergangenheit.

Ein typischer Laden

Ein typischer Laden

Mittagessen in Armjansk

Mittagessen in Armjansk

Der Weg nach Krasnoperekopsk (an der Landenge von Perekop) ist eher beschwerlich. Auf der Transitroute donnern die Lastwagen regelmässig hupend an uns vorbei. Abends haftet am Schweiss der Arm- und Kniekehlen die ganzen Russ- und Staubpartikel des Verkehrs. Auch in K. ist wieder einmal nicht einfach, ein Zimmer im Hotel «Fantasia» zu kriegen.

Auf dem Weg nach Krasnoperekopsk

Auf dem Weg nach Krasnoperekopsk

Wir entscheiden uns, die Transitroute zu verlassen und auf Nebenstrassen zu fahren. Anfänglich stellt es sich als gute Idee heraus, doch je weiter wir fahren, umso unberechenbarer wird die Route. Wir landen auf einem Bewässerungskanal, heisser Wind weht uns entgegen, die Fahrbahn wird immer mehr zur Piste, wir kommen mit ca. 10 km/h vorwärts.

Fahrt entlang des Bewässerungskanals

Fahrt entlang des Bewässerungskanals

Wir stellen uns schon auf eine Übernachtung im Zelt ein. Als wir im Dorf Aleksejewka unser Zelt aufstellen wollen, spricht ein Junge mit uns. Sein Vater Kola lädt uns ein, unsere Zelte in seinem Garten aufzustellen, was wir dankend annehmen (es gibt Platz neben den Hühnern, den Gänsen, den Kätzchen und dem Hund «Knoppa»). Wir packen unser Dosenfutter aus, wir dürfen am Tisch Platz nehmen und nach kurzer Zeit erscheint Kolas kasachische Frau mit frisch gefangenem Fisch, mit Suppe, mit Gurken, Tomaten, Brot, süssem Wein und Bier. Später werden wir noch in sein Haus eingeladen und wir schauen uns seine Bilder aus Murmansk an, wo er als Soldat stationiert war. Zuletzt kriegen wir eine Performance im Volkssport Karaoke («Malinka, malinka») geboten. Wir durften uns in der Gartendusche erfrischen und zu meinem Erstaunen gab es da «Head & Shoulders»)… Bei diesem Aufenthalt habe ich – obwohl wir uns v.a. mit Händen und Füssen unterhielten und bei seichten Themen blieben (Fussballer Schewtschenko) und Politikthemen gelernt haben zu vermeiden (man erwähne Juschtschenko besser nicht) – für mich unbekannte Gastfreundschaft erfahren.

Nach Jewpatorija

Nach Jewpatorija

Nächste Station ist Jewpatorija am Schwarzen Meer. Am nächsten Morgen geht’s bei leichtem regen über eine Nehrung weiter. Nach einem Zwischenstopp in Sake geht’s weiter über Feldwege nach Nikolajewka, einem kleinen Ferienort am Schwarzen Meer. Das Hotel liegt direkt am Meer; und das Meer ladet zum Bade und das «Baikonur» zum Feiern…

«Running up that hill ... it doesn't hurt me ...» von Kate Bush ist die treffende Phrase für die Steigungen vor Sewastopol

«Running up that hill … it doesn’t hurt me …» von Kate Bush ist die treffende Phrase für die Steigungen vor Sewastopol

Die sechte Etappe führt und von nach Sewastopol; erstmals wird hügelig. Auf einer Kreuzung vor Sewastopol studieren wir die Strassenkarte und auf einmal hält ein Auto und der Fahrer und sein Sohn sprechen uns an. Offensichtlich handelt es sich um den Bruder von Kola; Kola hatte von ihm erzählt und uns gesagt, wir könnten bei ihm in Nikolajewka übernachten. In Nikolajewka hatten wir den Gedanken schon beiseite geschoben und auch keine Anstalten getroffen, den Bruder zu suchen. Umso überraschter war ich, dass er uns «in the middle of nowhere» findet.

Eine unerwartete Begegnung: Der Bruder von Kola mit Familie

Eine unerwartete Begegnung: Der Bruder von Kola mit Familie

Mit der Fähre fahren wir in die Bucht von Sewastopol. Im Hafen bei «Butterbroti» planen wir die Übernachtung: Wir entscheiden uns fürs Hotel Sewastopol. Eine recht exzentrische Receptionistin («Administrator») hat einen ungewöhnlichen Englischwortschatz. Die Digitaluhren in der Lobby passen nicht zum Rest des Hauses.

Hotel Sewastopol

Hotel Sewastopol

Ein Ruhetag in Sewastopol bringt uns den fehlenden Dienstleistungsgedanken näher (S. war lange eine geschlossene Stadt und den Gastroleuten fehlt es bis heute an der Motivation, Gäste zu bedienen) und die U-Boot-Technik näher… Am zweiten Ruhetag fahren wir nach Balaklawa, wo uns der Lonely Planet eine unterirdische U-Bootfabrik verspricht, jedoch fehlt jeder James-Bond-Groove. Die Einrichtungen sind längst demontiert und ich verstehe beim russischsprachigen Guide nicht, ob er mit seinem lauten «go to the house! go to the house!» uns gegenüber übel gesinnt ist oder doch wohlwollend uns integrieren will…

Führung durch den leergeräumten U-Bootbunker in Balaklawa

Führung durch den leergeräumten U-Bootbunker in Balaklawa

Am 24. August, dem Unabhängigkeitstag, fahren wir an die Südküste der Krim. Wir passieren die Kirche in Foros und erreichen Alupka. Nach dem Abendessen mischen wir uns unters Volk, Feuerwerk wie hier habe ich noch nicht gesehen…

Am Tag drauf besichtigen wir den Woronzow-Palast und werden von einem mittelalterlichen Herrn angespochen, da er unser Deutsch identifiziert hat. Andrei arbeitet im Palast und bietet uns an, uns seine liebsten Orte des botanischen Gartens zu zeigen. Andrei lädt uns zu sich nach Hause ein, es gibt Melonen und Brot, dann zeigt er uns noch Simejis mit seinem aus dem Meer ragenden Felsen. Wir könnten über Nacht bleiben, entscheiden uns dagegen, da wir noch nach Jalta weiter wollen.

In Jalta beziehen wir ein Zimmer im Hotel Jalta, einem riesigen 2’500-Bettenbunker, das von aussen beeindruckt, jedoch nicht von innen. Hier wird uns auch während des Schlafs die Kamera geklaut (darum folgen hier auch keine Bilder mehr…).

Eine Marschrutka bringt uns zur Talstation des Berges Aj-Petri. Die Aussicht ist wunderschön, das Essen bei den Tataren recht rustikal und der Wein ungemein süss. Später gehts zum Schwalbennest und mit dem Boot zurück nach Jalta. Dort Abendessen und Nachtleben mit Leuten, die wir schon am Abend davor gesehen hatten).

Am Sonntag, 28. August, melden wir den Diebstahl bei der Reception, wo wir auf taube Ohren stossen. B. und ich begeben uns auf eigene Faust auf die Suche nach einem Polizeiposten. Wir treffen auf einen hilfsbereiten Mann, der für uns auf dem Posten übersetzen will. Der Polizist bringt uns alle mit einem Polizeibus zu einem Verwaltungsgebäde in der Pampa, das für das Gebiet, auf dem das Hotel steht, zuständig ist. Es ist wahrhaft ein Lotterbau. Auch die «Software» ist nicht viel freundlicher, wir warten und warten, um 15 Uhr merkt der Polizist, dass er noch nicht Mittag gegessen hat. Später erscheint ein jüngerer Polizist, der uns 50 Griwna Bakschisch abnimmt («für ein Geschenk für die Sekretärin oben»), um endlich ein Protokoll zu erhalten. Eine Erfahrung, die ich noch nicht gemacht hatte. Und dazu kommt mein Erstaunen, dass unser «Übersetzer» so viel Geduld hatte.

Am gleichen Tag fahren wir noch nach Aluschta. An einer Kreuzung kümmern sich meine beiden Kollegen um das Zimmer: ein Herr bietet ein privates Zimmer für 100 Griwna an. Etwas ausserhalb sehen wir einen Block und tragen dann auch noch unsere Velos in den siebten Stock rauf (der Lift ist ausser Betrieb). Wir stellen fest, dass das Ehepaar uns die Wohnung überlässt und es selber auf den Balkon umzieht.

Am Montag teilen wir uns auf, einer von uns fährt die 100 km mit dem Velo nach Sudak, die andern nehmen den Bus. Auch hier braucht Bakschisch, um einen Mitfahrer und den Chauffeur willig zu stimmen, die Velos mitzunehmen. In Sudak besichtigen wir die Genueser Festung und fahren noch in die malerische Bucht von Nowyj Swit. Abend nochmals das Nachtleben der Krim auskosten, allerdings sind auch Hammerwerferinnen im Publikum…

Mit einem Taxi geht es nach Simferopol, wo wir den Flug nach Kiew haben. In Kiew machen wir noch zwei Tage Sightseeing.

 

Fazit

Insgesamt war es eine erlebnisreiche Velotour, in einer Gegend, die von uns aus verhältnismässig einfach erreichbar ist und doch sehr fremd. Zeitweise kam es mir vor, eine Zeitreise in die Zeit meiner Grosseltern zu erleben. Aus Sicht des Velofahrers fällt auf, dass nur ganz wenige Velo fahren und dies in der Regel aus Not. So sind nur Bauern mal auf einem Velo unterwegs, die so arm sind, dass sie sich kein motorisiertes Fahrzeug leisten können. Auch aufgrund von Reaktionen merkt man, dass Velofahrer etwas exotisches sind. Fährt man beispielsweise in ein Dorf, ist man im Nu von Kindern umzingelt. Sicher ist man schon als Westler im Osten ein Exot, aber auch das Velo löst eine Faszination bei den Kindern aus. Ja, Kinder gehören auch noch zu den Velofahrern. Ich vermute, dass sie dann aber schnell auf ein Töffli umsteigen, sobald sie dürfen und können.

Eine Zeitreise war es auch aus Umweltschutzsicht. Gerade als Velofahrer nimmt man die Landschaft aktiv war und mir ist aufgefallen, wie häufig sorglos Müll und Plastikverpackungen im Strassengraben und auf Rastplätzen gelandet sind.

Die schönste Erfahrung ist die Hilfsbereitschaft und die Gastfreundschaft der Menschen, denen wir begegnet sind. Ohne zögern wird man ins Haus eingeladen, man speist zusammen, Diese Erinnerungen bleiben, auch wenn ich weiss, dass ich kaum je mehr auf die Krim gehen werde.

Hier ein Blogpost von der Ukrainereisenden Adrienne Fichter.

 

 

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